Lieder aus der Edda

Edda

 
 

Das Grimnirlied

1.
Heiss bist du, Feuer, und viel zu hoch; weich, Flamme, fort!
Es glimmt mein Pelz, heb ich gleich ihn hoch; es brennt der Mantel mir.


2.
Acht Nächte sass ich nah den Feuern, da mir niemand Nahrung bot,
als einzig Agnar, der Erbe Geirröds, der das Heervolk beherrschen soll.

3.
Heil wird dir, Agnar, da Heil dir beut des Heldenvolks Herr:
bessern Lohn eines Bechers sollst du nehmen nimmermehr.

4.
Das Land ist heilig, das ich liegen seh den Asen und Alben nah;
doch in Thrudheim wird Thor weilen, bis die Götter vergehn.



5.
Eibental heisst es, wo Ull seinen Saal sich hingesetzt hat;
Albenheim gaben die Asen Freyr vor Zeiten als Zahngeschenk.

6.
Dieser Hof ist der dritte, wo holde Götter mit Silber den Saal deckten:
Walaskjalf heißt er, ihn wirkte sich der Ase in Urtagen.

7.
Kleinodbank heißt der vierte, doch kühle Wellen rauschen über ihm.
Odin und Saga trinken dort alle Tage glücklich aus Goldbechern.

8.
Frohheim ist der fünfte, wo die funkelnd goldene Walhall weit sich dehnt;
Odin aber kiest alle Tage kampftote Krieger dort.

 

9.
Kund ist er allen, die zu Odin kommen, den Saalbau zu sehen:
Schilde sind die Schindeln, Schäfte sind die Sparren, es decken Brünnen die Bank.

10.
Kund ist er allen, die zu Odin kommen, den Saalbau zu sehen:
ein Wolf hängt westlich vom Tor, ein Aar schwebt über ihm.


*

11.
Thrymheim heißt der sechste, wo Thjazi wohnte, der furchtbare Frostriese;
nun haust Skadi, die herrliche Götterbraut, in dem alten Ahnenhof.

12.
Breitglanz heißt der siebente, dort hat Balder sich die Halle hingebaut;
auf jener Flur, der Freveltat nimmer nahen mag.

13.
Himmelsburg heißt der achte, wo Heimdall lange des Weihtums walten soll;
im behaglichen Haus trinkt herrlichen Met dort gerne der Götterwart.

14.
Folkwang heißt der neunte, doch Freyja waltet dort der Sitze im Saal;
Tag für Tag kiest sie der Toten Hälfte, doch die andre fällt Odin zu.

 

15.
Glastheim heißt der zehnte, von Gold sind die Pforten und von Silber das Saaldach;
doch Forseti wohnt dort viele Tage und stillt allen Streit.

16.
Noatun heißt der elfte, doch Njörd hat dort sich die Halle hingesetzt,
der Fürst der Menschen, des Frevels bar, er waltet hohes Heiligtums.

17.
Gesträuch wächst und starkes Gras auf Widars Waldgebiet;
auf Rosses Rücken, zu rächen den Vater, verheißt dort der Heldensohn.

18.
Rußgesicht lässt den Rußschwarz sieden im Kessel Kohlenruß,
das beste Fleisch, doch nicht viele wissen, was sie essen, die Einherjer.

19.
Geri und Freki atzt der vielberühmte, der kampfstolze Kriegergott;
doch von Wein nur lebt der waffenstrahlende Odin immerdar.


 

19.
Hugin und Munin fliegen manchen Tag den Erdengrund ab;
für Hugin fürcht ich, dass er heim nicht kehre, doch sorg ich um Munin noch mehr.

20.
Es rauscht Thund, des Riesenwolfs Fisch schwimmt froh in der Flut;
zu scharf scheint der Schar der Waltoten zu durchstapfen die Strömung.

21.
Walgitter heißt es, das vor geweihtem Tor heilig sich erhebt;
alt ist das Gitter, es ahnen nicht viele, wie es der Schlüssel verschliesst.

walhall

23.
Fünfhundert Vorräume und vierzig dazu kenn ich in Bilskirnirs Bau,
von diesen Häusern, die unter Dach ich weiss, hat mein Mage das mächtigste.

24.
Fünfhundert Tore und vierzig dazu kenn ich in Walhall wohl;
achthundert Einherjer gehn auf einmal aus jedem, wenn's mit Fenrir zu fechten gilt.
[540 X 800 = 432 000 !]

25.
Heidrun heißt die Geiss, die auf der Halle steht und von Lärads Laube frißt;
mit klarem Met soll sie die Kannen füllen, nie vertrocknert der Trank.

26.
Eichdorn heißt der Hirsch, der auf der Halle steht und von Lärads Laube frißt;
von seinem Geweih träuft es ins Wallebecken, davon kommen die Quellen all.

 

27.
Körmt und örmt und die Kerlauge zwei durchwatet täglich Thor, wenn er auszieht, Urteil zu fällen, zur Esche Yggdrasil;
denn die Brücke der Asen brennt in Flammen, und heiß sind die Himmelswasser.

28.
Gelber und Muntrer, Glanz und Hufschnell, Sehnig und Silberstirn; Gleissner und Fahlhuf, Goldstirn und Leichtfuss:
auf diesen reiten die Rater alle Tage, wenn sie zu urteilen ziehn zur Esche Yggdrasil

Ask Yggdrasil

29.
Drei Wurzeln gehn nach drei Seiten von der Esche Yggdrasil;
Hel wohnt unter einer, unter der andern die Reifthursen, unter der dritten der Degen Volk.


 

30.
Nagezahn heißt das Eichhorn, das Immer rennt auf der Esche Yggdrasil:
von oben her soll es des Adlers Worte zu Nidhögg niedertragen.

Ask Yggdrasil

31.
Hirsche gibt es vier, die mit erhobnem Kopf die Knospen kahlfressen:
Dain und Dwalin, Duneyr und Dyrathror.

32.
Mehr Würmer liegen an den Wurzeln Yggdrasils, als ein Unweiser ahnt:
Goin und Moin, Grafwitnirs Söhne, Grabak und Grafwöllud, Ofnir und Swafnir
sollen immerdar zerfressen die Fasenvurzeln.

33.
Die Esche Yggdrasil muss Unbill leiden mehr als man meint,
der Hirsch äst den Wipfel, die Wurzeln nagt Nidhögg, an den Flanken Fäulnis frißt.

34.
Hrist und Mist sollen das Horn mir bringen, Skeggjöld und Skögul, Hild und Thrud, Hlökk und Heerfessel,
Göll und Geirahöd, Randgrid und Radgrid und Reginleif, die bringen den Einherjern äl.

35.
Arwakr und Alswinn, von der Erde hinauf sollen sie die Sonne ziehn;
unter der Hengste Bug bargen holde Rater, die Asen, Erzkühle.
 

Chariotl


36.
Sänftiger heisst er, der Sonne Schild, der vor der Strahlenden steht;
Berge und Brandung müssten verbrennen ganz, wenn er von ihr fällt.

37.
Trug heisst der Wolf, der bis zu des Waldes Schutz die funkelnde verfolgt;
der andre, Hasser, der Erbe Fenrirs, läuft vor der heitern Himmelsbraut
.
38.
Aus Ymirs Fleisch ward die Erde geschaffen, aus dem Blute das Brandungsmeer,
das Gebirg aus den Knochen, die Bäume aus dem Haar, aus der Hirnschale der Himmel.

39.
Aus des Riesen Wimpern schufen Rater hold Midgard den Menschensöhnen;
aus des Riesen Gehirn sind die rauhgesinnten Wolken alle gewirkt.

40. Der hat Ulls Huld und aller Götter, der zuvorderst zum Feuer greift;
denn offen sind die Heime, hebt man ab die Kessel, allen Asensöhnen.

41.
Iwaldis Söhne gingen in Urtagen zu schaffen Skidbladnir, das beste Schiff,
dem schimmernden Freyr, Njörds gesegnetem Sohn.

42.
Die Esche Yggdrasil ist der erste der Bäume, doch Skidbladnir der Schiffe, der Rater Odin,
der Rosse Sleipnir, der Brücken Bilröst, doch Bragi der Skalden, der Habichte Habrok, doch der Hunde Garm.
 
Ask Yggdrasil


43.
Vor der Sieggötter Söhnen tat ich Gesichte nun kund; das weckt heilsame Huld:
allen Asen soll es eingehen auf Ägirs Bank, bei Ägirs Trank.

44.
Grim hiess ich, Gangmatt hiess ich, Herrscher und Helmträger, Walvater, Allvater,
Wunschherr und Graubart, Har und Heerblender.

45.
Trunken bist du, Geirröd, zu gierig trankst du, verstört ist dein Verstand;
manches verlorst du, da du meiner Gunst und Gefolgeschaft ferne bleibst.

46.
Ich wies dir vieles, doch wenig verstandest du: dich lässt fallen dein Freund;
liegen seh ich, besudelt mit Blut, meines Schützlings Schwert.

47.
Schwertmüde Beute soll der Schlachtgott haben: dein Leben verlierst du nun;
unhold sind dir die Disen, jetzt kannst du Odin sehn: nun komm, wenn du kannst.

Odin

48.
Odin heiss ich jetzt, hiess einstmals Schrecker, hiess vor Zeiten der Zürnende, Einschläfrer, Fessler:
mich dünkt, dass alles dies einzig mich nur meint.





D
er Seherin Gesicht

1
Gehör heisch ich heilger Sippen, hoher und niedrer Heimdallssöhne;
du willst, Walvater, das wohl ich künde, was alter Mären der Menschen ich weiss.

2
Weiss von Riesen, weiland gebornen, die einstmals mich auferzogen;
weiss neun Heime, neun Weltenreiche, des hehren Weltbaums Wurzeltiefen.

Ask Yggdrasil

3
Urzeit war es, da Ymir hauste: nicht war Sand noch See noch Salzwogen
nicht Erde unten noch oben Himmel, Gähnung grundlos, doch Gras nirgend.

4
Bis Burs Söhne den Boden hoben, sie, die Midgard, den mächtgen, schufen:
von Süden schien Sonne aufs Saalgestein; grüne Gräser im Grund wuchsen.

Sonne

5
Von Süden die Sonne, des Monds Gesell, schlang die Rechte um den Rand des Himmels:
die Sonne kannte ihre Säle nicht; die Sterne kannten ihre Stätte nicht; der Mond kannte seine Macht noch nicht.


Mond und Sonne

6
Zum Richterstuhl gingen die Rater alle, heilge Götter, und hielten Rat:
für Nacht und Neumond wählten sie Namen, benannten Morgen und Mittag auch, Zwielicht und Abend, die Zeit zu messen.

7
Die Asen eilten zum Idafeld, die Heiligtümer hoch erbauten;
sie setzten Herde, hämmerten Erz; sie schlugen Zangen, schufen Gerät.

8
Sie pflogen heiter im Hof des Brettspiels - nichts aus Golde den Göttern fehlte - ,
bis drei gewaltge Weiber kamen, Töchter der Riesen, aus Thursenheim.

Norns

9
Zum Richtstuhl gingen die Rater alle, heilge Götter, und hielten Rat,
wer der Zwerge Schar schaffen sollte aus Brimirs Blut und Blains Knochen.

3 Dwarf

10
Motsognir ward der mächtigste da unter den Zwergen, der zweite Durin;
die machten manche menschenähnlich, wie Durin es hiess, die Höhlenzwerge.

11
Bis drei Asen aus dieser Schar, stark und gnädig, zum Strand kamen:
sie fanden an Land, ledig der Kraft, Ask und Embla, ohne Schicksal.

12
Nicht hatten sie Seele, nicht hatten sie Sinn, nicht Lebenswärme noch lichte Farbe;
Seele gab Odin, Sinn gab Hönir, Leben gab Lodur und lichte Farbe.

13
Eine Esche weiss ich, sie heisst Yggdrasil, die hohe, benetzt mit hellem Nass:
von dort kommt der Tau, der in Täler fällt; immergrün steht sie am Urdbrunnen.

14
Von dort kommen Frauen,
vielwissende, drei, aus dem Born, der unterm Baume liegt:
Urd heisst man eine, die andre Werdani- sie schnitten ins Scheit-, Skuld die dritte;
Lose lenkten sie, Leben koren sie Menschenkindern, Männergeschick.

15
Da kam zuerst Krieg in die Welt, als Götter Gullweig mit Geren stiessen und
in Heervaters Halle brannten, dreimal brannten die dreimal geborne.

16
Man hiess sie Heid, wo ins Haus sie kam, das weise Weib;
sie wusste Künste: sie behexte Kluge; sie behexte Toren; immer ehrten sie arge Frauen.

17
Zum Richtstuhl gingen die Rater alle, heilge Götter, und hielten Rat,
ob Zins die Asen zahlen sollten oder alle Götter Opfer haben.

18
Den Ger warf Odin ins Gegnerheer: der erste Krieg kam in die Welt;
es brach der Bordwall der Burg der Asen, es stampften Wanen streitkühn die Flur.

 

19
Zum Richtstuhl gingen die Rater alle, heilge Götter und hielten Rat,
wer ganz die Luft mit Gift erfüllt, Ods Braut verraten Riesensöhnen.

20
Nur Thor schlug zu, zorngeschwollen: selten sitzt er, wenn er solches hört;
da wankten Vertrag, Wort und Treuschwur, alle Eide, die sie ausgetauscht.

3 Dwarf

21
Ich weiss Heimdalls Horn verborgen unterm heilgen Himmelsbaume;
Flut seh ich fallen im feuchten Sturz aus Walvaters Pfand - wisst ihr noch mehr?

22
Sass einsam draussen, als der Alte kam, der furchtbare Ase, und ins Auge mir sah:
Was fragst du mich? Was forschst du bei mir? Ich weiss, Odin, wo dein Auge du bargst.

3 Odin

23
Ich weiss Odins Auge verborgen in Mimirs Quell, dem
märchenreichen;
Met
trinkt Mimir allmorgentlich aus Walvaters Pfand - wisst ihr noch mehr?

24
Halsschmuck und Ringe gab Heervater, für Zukunftwissen und Zauberkunde:
weit sah ich, weit die Welten alle.

25
Ich sah Balder, dem blutenden Gott, Odins Sohne, Unheil bestimmt:
ob der Ebne stand aufgewachsen der Zweig der Mistel, zart und schön.

26
Ihm ward der Zweig, der zart erschien, zum herben Harmpfeil:
Hödur schoss ihn; und Frigg weinte in den Fensälen um Walhalls Weh - wisst ihr noch mehr?

27
Geknebelt sah ich im Quellenwald den Leib Lokis, den listenreichen.
Da sitzt Sigyn, ihr Gesell bringt ihr wenig Wonne - wisst ihr noch mehr?


Loki
 

28
Durch Gifttäler gleitet von Osten mit Schneiden und Schwertern der Schreckenstrom.

29
Im Norden stand auf dem Nachtfelde für Sindris Sippe ein Saal aus Gold;
ein andrer hob sich auf heissem Grund, der Biersaal des Riesen, der Brimir heisst.

30
Einen Saal sah ich, der Sonne fern, am Totenstrand, das Tor nach Norden:
tropfendes Gift träuft durch das Dach; die Wände sind aus Wurmleibern.

wurm

31
Dort sah ich waten durch Sumpfströme Meineidige und Mordtäter;
dort sog
Nidhögg entseelte Leiber, der Wolf riss Leichen - wisst ihr noch mehr?

32
Eine Alte östlich im Erzwald sass; die Brut Fenrirs gebar sie dort.
Von ihnen allen wird einer dann des Tageslichts Töter, trollgestaltet.

33
Er füllt sich mit Fleisch gefallner Männer, rötet mit Blut der Rater Sitz.
Schwarz wird die Sonne die Sommer drauf; Wetter wüten - wisst ihr noch mehr?

34
Dort sass auf dem Hügel und schlug die Harfe der Riesin Hüter,
der heitre Eggdir; es krähte bei ihm im Kiefernbusch der feuerrote Hahn, der
Fjalar heißt.

35
Doch
Güldenkamm bei den Göttern kräht: er weckt die Helden bei Heervater;
unter der Erde ein anderer kräht, in Hels Halle, ein braunroter Hahn.

36
Gellend heult Garm vor Gnipahellir: es reisst die Fessel, es rennt der Wolf.
Vieles weiss ich, Fernes schau ich: der Rater Schicksal, der Schlachtgötter Sturz.

37
Brüder kämpfen und bringen sich Tod, Brudersöhne brechen die Sippe;
arg ist die Welt, Ehbruch furchtbar, Schwertzeit, Beilzeit, Schilde bersten,
Windzeit, Wolfzeit bis die Welt vergeht - nicht einer will des andern schonen.

38
Es gärt bei den Riesen; des Gjallarhorns, des alten, Klang kündet das Ende.
Hell bläst Heimdall, das Horn ragt auf; Odin murmelt mit Mimirs Haupt.

39
Yggdrasils Stamm steht erzitternd, es rauscht der Baumgreis; der Riese kommt los.
Alles erbebt in der Unterwelt, bis der Bruder Surts den Baum verschlingt.

40
Was gibt's bei den Asen? Was gibt's bei den Alben? Riesenheim rast; beim Rat sind die Götter.
Vor Steintoren stöhnen Zwerge, die Weisen der Felswand - wisst ihr noch mehr?

41
Gellend heult Garm vor Gnipahellir: es reisst die Fessel, es rennt der Wolf.
Vieles weiss ich, Fernes schau ich: der Rater Schicksal, der Schlachgötter Sturz.

Thor

42
Hrym fährt von Osten, er hebt den Schild; im Riesenzorn rast die Schlange.
Sie schlägt die Wellen; es schreit der Aar, Leichen reisst er; los kommt Nagelfar.

43
Der Kiel fährt von Osten, es kommen Muspells Leute zum Land; Loki steuert.
Mit dem Wolfe zieht die wilde Schar; Byleipts Bruder bringen sie mit.

44
Surt zieht von Süden mit sengender Glut; von der Götter Schwert gleisst die Sonne.
Riesinnen fallen, Felsen brechen; zur Hel ziehn Männer, der Himmel birst.

45
Dann naht neue Not der Göttin, wenn wider den Wolf Walvater zieht und gegen Surt der sonnige Freyr:
fallen muss da Friggs Geliebter.

46
Der starke Sohn Siegvaters kommt, Widar, zum Kampf mit dem Waltiere:
so stösst seine Hand den Stahl ins Herz dem Riesensohn; so rächt er Odin.



47
Der hehre Spross der Hlodyn naht. Der Lande Gürtel gähnt zum Himmel:
Gluten sprüht er, und Gift speit er; entgegen geht der Gott dem Wurm.

48
Der Erde Schirmer schlägt ihn voll Zorn - die Menschen müssen Midgard räumen - ;
weg geht wankend vom Wurm neun Schritt, der Gefecht nicht floh, der Fjörgyn Sohn.

49
Die Sonne verlischt, das Land sinkt ins Meer; vom Himmel stürzen die heitern Sterne.
Lohe umtost den Lebensnährer; hohe Hitze steigt himmelan.

50
Gellend heult Garm vor Gnipahellir: es reisst die Fessel, es rennt der Wolf.
Vieles weiss ich, Fernes schau ich: der Rater Schicksal, der Schlachtgötter Sturz.

51
Seh aufsteigen zum andern Male Land aus Fluten, frisch ergrünend:
Fälle schäumen; es schwebt der Aar, der auf dem Felsen Fische weidet.

52
Auf dem Idafeld die Asen sich finden und reden dort vom riesigen Wurm
und denken da der grossen Dinge und alter Runen des Raterfürsten.

53
Wieder werden die wundersamen goldnen Tafeln im Gras sich finden, die vor Urtagen ihr eigen waren.

54
Unbesät werden Äcker tragen; Böses wird besser: Balder kehrt heim;
Hödur und Balder hausen im Sieghof, froh, die Walgötter - wisst ihr noch mehr?

Thor

55
Den Loszweig heben wird Hönir dann; es birgt beider Brüder Söhne das weite Windheim - wisst ihr noch mehr?

56
Einen Saal seh ich sonnenglänzend, mit Gold gedeckt, zu Gimle stehn:
wohnen werden dort wackre Scharen, der Freuden walten in fernste Zeit.

57
Der düstre Drache tief drunten fliegt, die schillernde Schlange, aus Schluchtendunkel.
Er fliegt übers Feld; im Fittich trägt Nidhögg die Toten: nun versinkt er.








Das Wafthrudnirlied

1
Odin:
Rate mir nun, Frigg, da zur Fahrt mich's drängt nach der Wohnung Wafthrudnirs!
Nach dem Urzeitwissen des allweisen Riesen nenn ich gross mein Begehr.

2
Frigg:
Daheim bleiben sollte Heervater in der Rater Reich,
da keinen der Riesen an Kräften gleich ich dem Wafthrudnir weiss.

3
Odin:
Viel fuhr ich, viel erforschte ich, viel befragt ich Erfahrene;
wissen will ich, wie Wafthrudnirs Saalbau wohl sei.

4
Frigg:
Heil zieh hin! Heil kehr zurück! Heil wandre den Weg!
Dein Geist bewähre sich, wenn du, Göttervater, dem Riesen Rede stehst!

5
Auszog Odin, des allweisen Riesen Klugheit zu erkunden.
Zur Halle kam er und zum Heim des Thursen, rasch trat Odin ein.

6
Odin:
Heil dir, Wafthrudnir! In die Halle komm ich, dich selber zu sehn.
Wissen will ich, ob du weise bist und dich allwissend bewährst.

7
Wafthrudnir:
Wer ist der Mann, der in meinem Saal sein Wort auf mich wirft?
Nimmer kehrst du, bist du der Klügere nicht, aus meiner Halle heim.

8
Odin:
Gagnrad heiss ich, gegangen komm ich hungrig zur Halle dein.
Zutritt, Riese, - bin gezogen weit - und Gastgruss begehre ich.

9
Wafthrudnir:
Warum antwortest du vom Eingang her? Komm auf den Sitz im Saal!
Dann findet sich's, ob der Fremdling an Witz übertrifft den Thursengreis.

10
Odin:
Der mindre Mann, der zum mächtigen kommt, spreche gut oder gar nichts:
Schwatzhaftigkeit, mein ich, schadet dem viel, der zum Kaltherzigen kommt.

11
Wafthrudnir:
Sage mir, Gagnrad, wenn dein Glück zu erproben auf der Diele du denkst:
wie heisst der Hengst, der den hellen Tag über die Volkssöhne fährt?

12
Odin:
Skinfaxi heisst er, der den hellen Tag über die Volkssöhne fährt;
kein Ross gilt den Reidgoten mehr, seine Mähne glanzt morgenhell.

13
Wafthrudnir:
Sage mir, Gagnrad, wenn dein Glück zu erproben auf der Diele du denkst:
wie heisst das Ross, das den Ratern die Nacht aufzieht von Osten her?

14
Odin:
Hrimfaxi heisst es, das den Hehren die Nacht aufzieht von Osten her;
jeden Morgen trauft vom Maul ihm Schaum, davon sind die Täler betaut.

15
Wafthrudnir:
Sage mir, Gagnrad, wenn dein Glück zu erproben auf der Diele du denkst:
wie heisst der Fluss, der wider das Volk der Riesen das Götterland begrenzt?

16
Odin:
Ifing heisst der Fluss, der wider das Volk der Riesen das Götterland begrenzt;
offen eilen soll er in Ewigkeit, kein Eis setzt er an.

17
Wafthrudnir:
Sage mir, Gagnrad, wenn dein Glück zu erproben auf der Diele du denkst:
wie heisst das Feld, wo zur Fehde Surt den Göttern begegnen wird?

18
Odin:
Wigrid heisst das Feld, wo zur Fehde Surt den Göttern begegnen wird;
hundert Meilen misst es hin und wieder; dies ist als Stätte bestimmt.

19
Wafthrudnir:
Ratklug bist du, Gast! Komm auf des Riesen Bank! Sprich auf dem Sitz im Saal!
Lass ums Haupt uns in der Halle wetten, Fremdling, auf Vielkunde !

20
Odin:
Sage mir zum ersten, wenn deine Einsicht taugt und du, Wafthrudnir, es weisst:
woher kam die Erde und oben der Himmel, ratkluger Riese, einst?

21
Wafthrudnir:
Aus Ymirs Fleisch ward die Erde geschaffen, aus dem Gebein das Gebirg,
der Himmel aus dem Schädel des schneekalten Riesen, die Brandung aus dem Blut.

22
Odin:
Sage mir zum andern, wenn deine Einsicht taugt und du, Wafthrudnir, es weisst:
woher mag der Mond, der über die Menschen geht, und die Sonne wohl sein?

23
Wafthrudnir:
Mundilfari heisst er, er soll des Mondes Vater und der Sonne sein;
sie ziehen täglich, zum Zeitmass den Menschen, über den Himmel hin.

24
Odin:
Sage mir zum dritten, wenn man bedacht dich nennt und du, Wafthrudnir, es weisst:
woher kam der Tag, der über die Täler geht, und die Nacht mit dem Neumond?

25
Wafthrudnir:
Delling heisst er, von diesem stammt der Tag, doch Nör hat die Nacht gezeugt;
Vollmond und Neumond, den Völkern zum Zeitmass, schufen gütige Götter einst.

26
Odin:
Sage mir zum vierten, wenn man erfahren dich nennt und du, Wafthrudnir, es weisst:
woher kam der Winter und der warme Sommer einst ins Asenreich?

27
Wafthrudnir:
Windswal heisst er, er ist des Winters Vater, doch der Sommer ist Swasuds Windswal war Sohn;
dem Wasud entsprossen, frostig ist all das Volk.

28
Odin:
Sage mir zum fünften, wenn man erfahren dich nennt und du, Wafthrudnir, es weisst:
wer erwuchs in der Vorzeit von Ymirs Stamm und den Asen als Ältester?

29
Wafthrudnir:
Vor unzähligen Wintern, eh die Erde geschaffen, war geboren Bergelmir;
Thrudgelmir war des Thursen Vater, doch Aurgelmir sein Ahn.

30
Odin:
Sage mir zum sechsten, wenn man sinnreich dich nennt und du, Wafthrudnir, es weisst:
woher kam Aurgelmir, der urweise Thurse, einst zu der Riesen Reich?

31
Wafthrudnir:
Aus den Eliwagar flogen Eistropfen, aus den Tropfen der Thurse wuchs;
unsre Sippen stammen dort alle her, drum ist's ein schlimm Geschlecht.

32
Odin:
Sage mir zum siebenten, wenn man sinnreich dich nennt und du, Wafthrudnir, es weisst:
wie zeugte Kinder der kühne Riese, da er kein Weib gewann?

33
Wafthrudnir:
Knabe und Mädchen wuchsen dem kühnen Thursen unterm Arm vereint;
der Fuss mit dem Fuss des Vielweisen zeugte den sechshäuptigen Sohn.

34
Odin:
Sage mir zum achten, wenn man dich einsichtig nennt und du, Wafthrudnir, es weisst:
was weisst du als frühestes? was weisst du als fernstes? Allwissend bist du wohl.

35
Wafthrudnir:
Vor unzähligen Wintern, eh die Erde geschaffen, war geboren Bergelmir; als frühestes weiss ich,
dass den vielklugen Riesen auf den Mahlkasten Männer legten.

36
Odin:
Sage mir zum neunten, wenn die Vernunft dir taugt und du, Wafthrudnir, es weisst:
woher kommt der Wind, der über die Wogen geht? Niemand sieht ihn selbst.

37
Wafthrudnir:
Hräswelg heisst er, er sitzt an Himmels Rand, der Jöte, in Aargestalt;
von des Riesen Flügeln über die Völker alle sollen die Winde wehn.

38
Odin:
Sage mir zum zehnten, wenn die Zukunft der Götter du, Wafthrudnir, weisst:
woher kam Njörd nach Noatun, da er bei den Asen nicht aufwuchs?

39
Wafthrudnir:
In Wanenheim schufen ihn weise Rater als Geisel fürs Götterreich:
beim Weltende wird er wiederkehren zu den weisen Wanen einst.

40
Odin:
Sage mir zum elften, wer in Odins Hof kämpft Tag für Tag;
sie kiesen die Wal, reiten vom Kampfe heim, sitzen beisammen versöhnt.

41
Wafthrudnir:
Alle Einherjer in Odins Hof kämpfen Tag für Tag;
sie kiesen die Wal, reiten vom Kampfe heim, sitzen beisammen versöhnt.

42
Odin:
Sage mir zum zwölften, woher die Zukunft der Götter du, Wafthrudnir, weisst!
Der Rater und Riesen Runenkunde weisest du fürwahr, ratkluger Riesengreis!

43
Wafthrudnir:
Der Rater und Riesen Runenkunde kann ich weisen fürwahr, da ich alle Welten durchwallt;
zog zu neun Heimen bis Nifelhel nieder, wo der Gestorbnen Stätte ist.

44
Odin:
Viel fuhr ich, viel erforschte ich, viel befragt ich Erfahrene:
wer lebt von den Menschen, wenn der mächtige Winter auf Erden enden wird?

45
Wafthrudnir:
Lif und Lifthrasir, ihr Leben bergen sie im Holze Hoddmimirs;
Morgentau wird ihr Mahl dort sein, sie pflanzen die Völker fort.

46
Odin:
Viel fuhr ich, viel erforschte ich, viel befragt ich Erfahrene:
wie kommt eine Sonne an den klaren Himmel, wenn diese Fenrir erfaßt?

47
Wafthrudnir:
Eine Tochter hat die Tagesleuchte, eh sie Fenrir erfaßt;
reiten soll sie, wenn die Rater sterben, der Mutter Bahn, die Maid.

48
Odin:
Viel fuhr ich, viel erforschte ich, viel befragt ich Erfahrene:
wer sind die Mädchen, die übers Meer schweben - voll Weisheit wandern sie?

49
Wafthrudnir:
Drei starke Ströme stürzen übern Hof der Mädchen Mügthrasirs;
Schutzgeister sind sie dem Geschlecht der Menschen, wohnend in der Riesen Reich.

50
Odin:
Viel fuhr ich, viel erforschte ich, viel befragt ich Erfahrene:
wer soll herrschen in den Heimen der Asen, wenn Surts Lohe erlosch?

51
Wafthrudnir:
Widar und Wali sollen im Weihtum hausen, wenn Surts Lohe erlosch;
Modi und Magni sollen Mjöllnir führen nach dem Tode Thors.

52
Odin:
Viel fuhr ich, viel erforschte ich, viel befragt ich Erfahrene:
wer wird Odin das Ende bringen, wenn die Götter vergehn?

53
Wafthrudnir:
Walvater wird der Wolf verschlingen; ihn rächt Widar am Wolf:
den grimmen Rachen soll zerreissen er zum Ende dem Ungetüm.

edda

54
Odin:
Viel fuhr ich, viel erforschte ich, viel befragt ich Erfahrene:
was sagte Odin dem Sohn ins Ohr, eh man auf den Holzstoss ihn hob?

55
Wafthrudnir
Nicht einer weiss, was in alten Tagen deinem Sohn du gesagt!
Verfallen dem Tod, erzählte ich Vorzeitkunde und von der Asen Untergang!
Mit Odin mass ich mein Allwissen: du bleibst der Wesen Weisester!


 


 

volker doormann    -  2003.10.04