Die Lehre des Herakleitos

                                      

Herakleitos aus Ephesos,   540/35 BCE bis 483/75 BCE, Sohn des Blyson.
 

" Bei dieser Lehre, die sagt wie es ist, wird es immer nicht verstehende Menschen geben, sowohl ehe sie gehört als auch nachdem sie gehört haben; während doch alles nach diesem Worte geschieht. Unerfahrenen gleichen sie, wenn sie es versuchen mit Reden und Werken solcher Art, wie ich sie ausführe, indem ich auseinandersetze ein jedes der Natur gemäß und zeige, wie es sich verhält. Den übrigen Menschen aber ist verborgen, was sie im Wachen tun, so wie sie vergessen, was sie im Schlafe taten. Die Nicht -Verstehenden gleichen den Tauben; das Sprichwort bezeugt es ihnen: Anwesend sind sie abwesend.

Ihr Ungläubigen! Zu hören versteht ihr nicht und auch nicht zu reden! Die Erwachten haben eine gemeinsame Welt; bei den Schlafenden aber wendet sich ein jeder seiner eigenen zu. Nicht ist es nötig, wie Schlafende zu tun und zu reden. Die Schlafenden, glaube ich, sind Wirker und Mitwirker bei dem, was in der Welt geschieht. Trotzdem die Menschen am meisten und beständig durch das Wort miteinander verkehren, entzweien sie sich darüber, und das, worauf sie tagtäglich stoßen, scheint ihnen fremd. Es ist aber nötig, dem Zusammenhängenden zu folgen, das ist aber das Gemeinsame; die richtig zusammenhängende Lehre nämlich ist die gemeinsame. Obwohl es das Wort gibt, in dem alle übereinkommen müßten, das allen gemeinsam ist, leben die Vielen so, als ob sie ein eigenes Denken hätten. Doch nicht denken nach die Vielen über solches, worauf sie stoßen, noch durch Erfahrungen gewitzigt erkennen sie; aber ihnen erscheint es so, sie wähnen nur, sie bilden sich 's ein. Gemeinsam ist allen das Denken. Den Menschen allen liegt daran sich selbst zu erkennen und richtig zu denken, einsichtig zu sein. Vielwisserei lehrt nicht Verstand, Geist, Einsicht haben.

Gar vieler Dinge kundige Zeugen müssen philosophische Menschen sein. Verbergen sollte man lieber Unwissenheit, als offen zur Schau bringen.

Was ich gesehen, gehört, erfahren habe, das ziehe ich vor. Die Augen aber sind genauere Zeugen als die Ohren. Schlechte Zeugen sind den Menschen Augen und Ohren, wenn sie barbarische Seelen haben.

Im »Wettkampf des Homer und Hesiod« erzählt der Dichter: Der greise blinde Homer sitzt am Ufer des Meeres und fragt junge Burschen, die vom Fischfang kommen , ob sie etwas gefangen haben; die aber sagen: 'Was wir gefangen haben, ließen wir da, was wir nicht gefangen haben, bringen wir mit'. Der versteht sie nicht und fragt, was sie damit meinen ; die aber sagen, sie hätten statt Fische zu fangen, Läuse gefangen, so die gefangenen zurückgelassen, die nicht gefangenen in ihren Kleidern mitgebracht . . also lassen sich täuschen die Menschen bei der Erkenntnis der sichtbaren Dinge gleich dem Homeros, der doch war vor allen Griechen ein weiser Meister, da junge Burschen ihn täuschten, die Läuse erjagt und abgetan hatten, und sagten: was wir gesehen haben und erwischt, das ließen wir da, was wir aber weder gesehen noch erfaßt haben, das tragen wir bei uns.

Nicht darf man es nur wie Kinder ihrer Erzeuger machen, das heißt schlechthin so, wie wir es eben gehört und überkommen haben.

Hunde pflegen das anzubellen, was sie nicht kennen.

Lässig träger Mensch pflegt bei jedem Wort verduzt und aufgescheucht zu sein.

Das einsichtige Denken und Gesonnensein ist größter Vorzug und höchste Tugend, und Weisheit ist Wahrhaftiges sagen und tun bei solchen, die auf die Natur hinhorchen.

Eines ist das letzte Klare, das allein genannt werden — nicht will und doch will mit dem Namen des Zeus.

Zu reinigen suchen sich vergeblich, die mit Blut sich besudeln, wie einer, der in den Schmutz gestiegen ist, mit Schmutz sich abwaschen wollte. Wahnsinnig sei er, würde einer der Menschen denken, wenn er ihn schaute bei solchem Tun. Und zu den Götterbildern hier beten sie, wie wenn einer mit leeren Wänden schwätzen wollte; gar nicht erkennen sie Götter und Heroen und wissen nicht, welcher Art sie sind.

Die bei den Menschen sogenannten und gemeinten heiligen Weihen feiern sie in unheiliger Weise, nicht in schweigender Versenkung. Wenn nicht dem Dionysos zu Ehren die Bacchanten dahinzögen und das Lied sängen vom Phallos, ganz schamloses Werk würde getan. Ein und derselbe aber ist Hades und Dionysos, welchem geweiht im Rausche wahnsinniger Lust sie dahinjagen und rasen.

Der waltende Gott, dem die heilige Stätte der Gesichte gehört, die zu Delphi,  -  nicht redet er, auch nicht verbirgt er, sondern er zeigt und kündet.

Seine Seherin, die Sibylla, mit einem vom Geist ergriffenen stammelnden Munde läßt Nicht-Gelachtes und Nicht-Geschminktes und Nicht-Gesalbtes hervortönen — durch die Jahrtausende reicht ihre Stimme   -   ein Werkzeug nur der Gottheit.

Kämpfen soll das Volk um das Gesetz, gleich wie um eine Mauer.

Überhebung, Anmaßung, Übermaß muß man auslöschen mehr und lieber als eine Feuersbrunst.

Die, welche mit Einsicht reden, müssen sich stark machen in dem, was für alle gilt, wie die Stadt durch das Gesetz und noch viel stärker: Denn genährt werden alle die menschlichen Gesetze von Einem, dem Göttlichen, denn es herrscht soweit wie es will und es tut allem Genüge und überlegen obwaltend umschließt es alles.

Wenn ihr nicht auf mich, sondern auf den Logos gehört habt, werden wir gemeinsam zu der lichten Weisheit kommen, daß Eines alles ist.

Wenn nicht die Sonne wäre, würde trotz der übrigen Sterne dunkle Nacht sein. Die Sonne wird nicht überschreiten ihre Maße; wenn aber doch, werden die Erinyen, der Dike, der Notwendigkeit und des ewigen Gesetzes Helferinnen, sie ausfindig machen. Alles geht in kreisenden Umläufen; die Sonne als Leitgestirn läßt Perioden abgrenzen, Veränderungen erscheinen und kund werden und die Hören, die alles bringen.

Diese Welt hier, dieselbige aller Dinge, hat weder einer der Götter noch der Menschen geschaffen, sondern sie war immer und ist und wird sein immer - lebendiges Feuer, sich entzündend nach Maßen und verlöschend nach Maßen. Feuers Wandlungen sind zuerst Meer, vom Meer aber die Hälfte Erde, die Hälfte aber Kraterglut. Meer löst sich auf nach Maßen des Gesetzes zu dem, was es vorher war, ehe es Erde wurde.

Gedenket des, der vergißt, wohin der Weg führt!

In Feuer umgesetzt wird alles und das Feuer in alles gleichwie in Gold die Waren und die Waren in Gold. Es lebt das Feuer der Erde Tod und die Luft lebt des Feuers Tod, Wasser lebt der Luft Tod, Erde des Wassers Tod. Das Kalte wird warm. Warmes wird kalt. Nasses wird trocken, Dürres wird wieder feucht. Alles wird das Feuer, das kommende, sichten und erfassen. Lechzendes Verlangen und Sättigung. Ermangeln des Feuers und erlösendes Aufgehen in Feuer.

Die Gottheit ist Tag und Nacht, Winter und Sommer, Krieg und Frieden, Sättigung und Hunger. Veränderung, Wechsel, Umsatz geschieht wie beim Feuer, wenn es mit den Opfergaben zusammenkommt, benannt wird nach Empfindung und Lust eines jeden.

Auch der Gerstentrank zersetzt sich, wenn er nicht durch Umrühren bewegt wird.

Gleichwie ein Kehricht aufs Geratewohl hin geschüttet ist diese schönste und beste Welt.

Sich wandelnd ruhet es — und Mühseligkeit ist, immer demselben sich abmühen und dienen.

Meerwasser, ein reinstes und ein abscheulichstes, für Fische trinkbar und Leben erhaltend, für Menschen aber untrinkbar und tödlich.

Schweine baden sich im Kot, Geflügel im Staub oder in der Asche.

Bei einem Fluß ist es nicht möglich hineinzusteigen zweimal in denselben   ( auch nicht ein sterbliches Wesen zweimal zu berühren und zu fassen in seinem Gehaben ) ,  es zerfließt und wieder strömt es zusammen und kommt her und geht fort. Wenn wir in dieselben Flüsse steigen, andere und andere Wasser strömen herzu  -  auch
Seelen von dem Feuchten her dampfen auf. In Flüsse als dieselben steigen wir hinein und steigen nicht hinein, wir sind sowohl und nicht sind wir.

Dasselbe Wesen in uns ist Lebendes und Gestorbenes und das Wache und das Schlafende und Junges und Altes.

Die Sonne ist neu an jedem Tage. Ein Tag ist gleich dem anderen. Der Schraube Weg gerade und gekrümmt einer ist er und derselbe. Ein Weg hinauf hinab ist ein und derselbe.

Unsterbliche sind sterblich, Sterbliche unsterblich, lebend sind sie der Sterblichen Tod, und der Sterblichen Leben sind sie die Toten.

Krankheit macht die Gesundheit süß, Übel das Gute, Hunger die Sättigung, Anstrengung das Ausruhen.

Überall Zusammenhänge, Verbindungen, fließende Übergänge!

Der Mensch berührt in seliger Todesnacht das Licht, wenn seine Augen erloschen sind, lebend berührt er den Tod im Schlaf, erwachend berührt er den Schlafenden.

Der Gottheit ist schön alles und gut und gerecht, Menschen aber haben das eine für unrecht gehalten, anderes aber für recht.

Des Rechtes Namen würde man nicht wissen, wenn das Entgegengesetzte nicht wäre.

Eins ist die Klarheit und weiseste Kunst, sich zu verstehen auf die Weise des Geistes, der alles durch alles lenkt.

So vieler Leute Lehren ich hörte, noch keiner ist bis dahin gelangt zu erkennen, daß eine lichte Klarheit der Einsicht ist von allem gesondert.

Die Natur liebt sich zu verbergen.

Lebendige Wärme, die von der Sonne hervorgeht, reicht allem, was lebt, sein Leben dar.

Glänzende trockene Glut  -  klarste, weiseste, beste Seele.

Ich suchte und erforschte mich selbst. Der Seele ist eigen der Logos, der sich selbst mehrt. Wenn du zu der Seele Grenzen gehen willst, wirst du sie nicht ausfinden können, auch wenn du jeden Pfad hinschreitest, so tiefen Logos hat sie. Beseelten Wesen wiederum ist es Tod zu Wasser zu werden, dem Wasser aber ist Tod, Erde zu werden, aus der Erde aber quillt Wasser, aus Feuchtem aber beseeltes Wesen. Den Seelenwesen ist es Lust oder Tod feucht zu werden . . . wir leben vom Tode jener und jene leben von unserem Tod. Gleichwie eine Spinne auf ihrem Anstand in der Mitte des Netzes merkt, sobald eine Fliege irgendeinen Faden ihres Netzes zerstört, und darauf dorthin eilends läuft gleichsam besorgt wieder herzurichten den Faden zum Ganzen, so geht des Menschen Seele, wenn irgendein Teil seines Leibes verletzt ist, dorthin in Eile, als ob sie nicht dulden könne eine Verletzung des Leibes, mit welchem sie fest und in Beziehung zu allen Teilen hin ebenmäßig verbunden ist. Mit dem Gemüte zu kämpfen ist schwer, denn was einer auch wollen mag, es wird mit der Seele erkauft. Der Charakter ist dem Menschen Dämon oder Gott. Menschliche Sinnesart hat nicht einsichtige Ziele, göttliche aber hat sie.

Daß den Menschen alles geschieht, was sie wünschen, ist ihnen nicht gut.

Ein Mann wird als Unmündiger aufgefaßt von einem göttlichen Geiste, wie ein Kind von einem Manne.

Der schönste Affe ist häßlich mit menschlicher Art verglichen. Der weiseste Mensch erscheint im Hinblick auf Gott wie ein Affe an Weisheit und Schönheit und allem andern.

Kinderspiele  -   die menschlichen Wahngedanken und Meinungen!

Der Lauf der Welt  -  ein Knabe beim Brettspiel; dem Kind ist das Reich und die Herrlichkeit!

Kampf ist aller Dinge Vater, aller Dinge König, und die einen erweist er als Götter, die andern als Menschen, die einen macht er zu Sklaven, die andern zu Freien.

Wissen aber muß man, daß der Krieg ein Gemeinsames ist und Verbundenheit, und daß der Streit das Recht bringt, und daß alles erzeugt wird, erwächst und geschieht nach Zwiespalt und zwieträchtiger Weise und nach gegenseitigen Bedürfens Notwendigkeit.

Das in entgegengesetzter Weise Gehobelte wird zusammengebracht und aus den verschiedenen Tönen wird die schönste Harmonie und so entsteht jedes Gefüge zwieträchtiger Weise gemäß.

Sich verbindend fassen sich zusammen: Ganzes und nicht Ganzes, Zusammenstrebendes und Auseinanderstrebendes, Zusammenklingen  -  Verschiedenklingen, und aus allem Eins und aus Einem alles.

Die unsichtbare Harmonie ist stärker als die sichtbare.

Nicht verstehen sie und bringen zusammen, wie Unterschiedliches sich entspricht, sich ergänzt, zusammenstimmt; sich wieder einander zukehrend, gegenseitig ineinander zurücklaufend, in sich zurückkehrend ist Einigung und Gefüge, so wie beim Bogen und bei der Leier Zusammenfügung aus gegenstrebigen Hölzern.

Zusammenhanget Anfang und Ende bei des Kreises in sich geschlossenem Lauf.

Das Wohlgefallen  -  des Lebens Ziel.

Die Bildung ist zweite Sonne denen, die erzogen sind.

Wenn Glückseligkeit bestände in Vergnügungen des Leibes, Ochsen würden wir glücklich nennen, wenn sie Kichererbsen zu fressen finden. Esel nehmen Häcksel und Spreu lieber als Gold.

Was da lebt, erblüht und vergeht den ewigen Gesetzen der Gottheit gehorchend; alles, was kriecht, wird mit der Geißel geweidet.

Vor dem, was niemals untergeht, wie könnte da jemand verborgen bleiben!

Die da Gold suchen, viel Erde schaufeln sie auf und finden gar wenig.

Wer denn von ihnen hat Geist oder Herz? Pöbelsängern folgen sie und zu Lehrmeistern nehmen sie die Masse und wissen nicht, daß die Vielen schlecht sind, wenige aber gut. Wenn sie geboren sind, leben wollen sie und ihre Todeslose haben, vielmehr wieder ausruhen, und Kinder hinterlassen sie, denen wieder die gleichen Lose werden.

Tod ist, was wir im Wachen sehen, was aber im Schlummer, ist Traumbild.

Die Menschen erwartet, wenn sie gestorben sind, was sie nicht erhoffen und nicht vermeinen.

Leichen sind eher fortzuschaffen als Mist.
Eines Erwählen anstatt alles anderen anderen die Besten und Tüchtigsten, Klang immerquellenden, statt des Sterblichen; die Vielen aber sind nur satt geworden gleich wie das Vieh.

Die im Kampfe Gefallenen ehren Götter und Menschen.

Größere Schicksale erlosen größeren Lebensgewinn, größerer Tod erlangt größeren Lohn.

Das Gutscheinde erkennt der Erprobteste, Bewährteste und er bewahrt es; doch wird Dike auch die erfassen, die da Trugbilder weben und bezeugen. Wenn einer es nicht ersehnt und erhofft, wird er das, was über alles Erwarten geht, nicht finden, unausforschlich ist es und ohne Weg. Aus Mangel an Glauben, Treue, Festhalten, Beharren zerrinnt und entgeht vom Göttlichen das meiste, so daß es nicht erkannt wird.


 

Statements

"Habt ihr nicht mich, sondern mein Wort vernommen, ist es weise zuzugestehen, daß alles eins ist."


"Kindische Würfelspielpolitik! - Was zieht ihr mich hinauf, hinab, ihr Unmusischen? Nicht für euch mühte ich mich ab, sondern für die, die mich verstehen"


"Was gafft ihr da, ihr Lumpen, ist es nicht besser dergleichen zu tun, als mit euch ein politisches Leben zu führen?"

Einen wertvollen Dienst würden die Ephesier dem Vaterland leisten, wenn sich Mann für Mann alle die aufhängen würden und der Jugend die Stadtgemeinde überheißen, alle die da den Hermodoros, ihren tüchtigsten und brauchbarsten Mann verbannten mit der Erklärung: 'Von uns soll nur nicht einer der Tüchtigste sein, wenn aber doch, dann anderswo und bei ande ren'. "

" Lodernde Glut ist die klarste und beste Seele"

 

 volker doormann  2009